Freitag, 3. September 2010

Artikel im Reutlinger General-Anzeiger: Im Geist der Stuttgarter Schule

Ein weiterer Artikel im Reutlinger General-Anzeiger:

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Fazit:Als Vertreter der Bürgergruppe Gmindersdorf regen wir an, dass das Gremium Elke Sohn einlädt, damit sie über die Bedeutung der Erdle-Gebäude im Gmindersdorf und das architektonische Generationenwerk referiert.



 Quelle:GEA

Gmindersdorf -  Bosch-Neubauprojekt: Architekturhistorikerin Dr. Elke Sohn warnt vor Abriss der Erdle-Bauten
Im Geist der Stuttgarter Schule


Von Ulrike Glage

REUTLINGEN.
Altes »Glomb« oder ein bauhistorisch wertvolles Gebäudeensemble? Was anfangs eindeutig schien, wird jetzt kritisch hinterfragt. Bekanntlich will die Bosch-Wohnungsgesellschaft die unmittelbar ans Gmindersdorf angrenzenden Gebäude wegen ihres »desolaten Zustands« abreißen und durch massive Neubauten ersetzen. Der Gemeinderat hat ohne Wenn und Aber der Aufstellung des Bebauungsplanes zugestimmt.

Die Bosch-Wohnungsgesellschaft will das Gebäude-Ensemble des Architekten Helmut Erdle abreißen. Die Bauhistorikerin und Erdle-Expertin Elke Sohn plädiert für ihren Erhalt und eine grundlegende Untersuchung.
Doch es regt sich Widerstand - aus dem Gmindersdorf, dessen Bewohner eine Beeinträchtigung ihrer denkmalgeschützten Siedlung fürchten. Inzwischen aber auch von Architektur-Experten. »Es wäre schade, wenn man das abreißen würde, ohne vorher eine Bewertung vorzunehmen«, sagt Dr. Elke Sohn auf GEA-Anfrage.

Die Bauhistorikerin aus Saarbrücken ist Expertin für die »Stuttgarter Schule«. Deren Initiator war Theodor Fischer, der 1903 das Gmindersdorf als sein erstes großes Siedlungsprojekt entworfen hat. Als wichtiger Repräsentant gilt außerdem Heinz Wetzel, der ebenfalls an der Planung der Reutlinger Arbeiterkolonie beteiligt war. Sein Hauptassistent war der junge Architekt Helmut Erdle, der wiederum in den Fünfzigerjahren die Gebäudekomplexe vis-à-vis vom Gmindersdorf plante (der GEA berichtete).

»Eine reizvolle, malerische Wirkung« §§ Dr. Elke Sohn, die an einem Forschungsprojekt über »Wetzel und seine Schüler« beteiligt war, hat sich inzwischen selbst ein Bild von den Erdle-Bauten gemacht: Sie fuhr eigens nach Reutlingen, um sie von außen zu begutachten. Über die Bausubstanz kann sie nichts sagen, wohl aber über die Architektur. Und die hat sie ziemlich beeindruckt. »Vom ersten Ansehen her würde ich sagen, dass sich hier ganz klar der Geist der Stuttgarter Schule niedergeschlagen hat.«

Die, betont die Expertin, sei neben dem Bauhaus die wichtigste Schule für moderne Baugestaltung. Ziel von deren Vertretern sei die Abkehr von historisierenden Elementen der Architektur hin zum zweckorientierten, aufs Wesentliche reduzierte Bauen. Als Merkmale dieser »traditionalistischen Moderne« gelten kompakte Grundrisse, ortsübliche Materialwahl und eine »stadträumige« Gestaltung. »Alle diese Gedanken hat Erdle in Reutlingen aufgegriffen«, sagt die Wissenschaftlerin. Und nennt Beispiele. Die versetzte Bauweise entlang der Moserstraße etwa, die wie bei Fischer und Wetzel einen »raumerweiternden« Effekt habe. Oder die Unregelmäßigkeit der Bebauung, die den Eindruck des organisch Gewachsenen vermittelt und sich von einer reißbrettartigen Planung abhebe. Sohn weist außerdem auf die perspektivische Ansicht hin, die durch die Anordnung der Häuser entstehe. »Man guckt nie ins Leere.« Die Giebel habe Erdle in sich gestaltet, ihre Unregelmäßigkeit erzeuge eine »reizvolle, malerische Wirkung«.

Architekt Erdle, so das Fazit der Architekturhistorikerin, habe Bezug genommen zur alten Siedlung, dem Gmindersdorf. »Das Gebäudeensemble gehört dazu, es bildet einen wunderschönen Übergang zu den späteren Bauten.« Elke Sohn spricht von einem »Übergleiten der Zeiten«. Der geplante Neubau sei das krasse Gegenteil. »Das wäre eine Zäsur und ein ganz anderes Konzept.«

Für den Erhalt der Bauten von Helmut Erdle spricht aus ihrer Sicht auch, dass sie in Zusammenhang mit dessen Lehrern Theodor Fischer und Heinz Wetzel stehen und man an ihnen ablesen kann, wie sich »über drei Generationen die Stuttgarter Schule Städte gedacht hat«. Erdle habe viel gebaut und nicht alles könne erhalten werden. Aber, betont Elke Sohn: »Es wäre geboten, eine grundlegende Untersuchung und ein Gutachten zu diesem Ensemble vorzunehmen.«

§§ »Die Baugeschichte hinkt da hinterher«

Zu prüfen, ob nicht mehr Baugeschichte hinter den Gebäuden steckt als angenommen, wäre Aufgabe des Denkmalamtes. Dass sich die Bedeutung der Erdle-Gebäude nicht auf den ersten Blick erschließt, liegt ihrer Erfahrung nach schlicht und ergreifend daran, dass die Architektur der Fünziger- und Sechzigerjahre erst in jüngster Zeit erforscht und deshalb häufig unterschätzt wird. »Die Baugeschichte hinkt da hinterher.«

Aus dem Denkmalamt ist unterdessen zu hören, dass die Prüfung noch läuft und keine Stellungnahmen abgegeben werden, solange keine Ergebnisse vorliegen. Sollte die Behörde aber eine »denkmalrechtliche Schutzwürdigkeit« des Erdle-Ensemble feststellen, könne gegen die geplante Neubebauung denkmalrechtlich Einspruch erhoben werden.

»Wir sind noch nicht am Ende des Bebauungsplanverfahrens«, sagt Stefan Dvorak, Chef des Amtes für Stadtentwicklung und Vermessung. Er rechnet damit, dass in der nächsten Woche die Ergebnisse des Denkmalamtes vorliegen, die dann wie die anderen Stellungnahmen Grundlage der endgültigen Entscheidung des Stadtrates seien. »Das muss alles abgewogen werden.« Am 23. September soll es erneut einen runden Tisch mit den Gmindersdörflern geben.

»Wir bleiben am Ball«, sagen die Gmindersdorf-Bewohner Karin Schliehe und Bernhard Mark, die sich für den Erhalt des Erdle-Ensembles einsetzen. Zumal sie herausgefunden haben, dass in Siegen eine von Helmut Erdle gebaute Siedlung komplett unter Denkmalschutz gestellt wurde. Mit Info-Mappen wollen sie jetzt die Gemeinderäte aufklären. Als Vertreter der Bürgergruppe Gmindersdorf regen sie außerdem an, dass das Gremium Elke Sohn einlädt, damit sie über die Bedeutung der Erdle-Gebäude im Gmindersdorf und das architektonische Generationenwerk referiert. (GEA)

www.teilabrissgmindersdorf. blogspot.com

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