Donnerstag, 28. Oktober 2010

Artikel im Reutlinger General-Anzeiger: Woge schlägt Wellen

Von Ulrike Glage
REUTLINGEN. Die Wellen um die »Bosch-Woge«, wie die Erdle-Bauten in der Moserstraße in Anlehnung ans Kürzel für »Wohnungsgesellschaft« genannt werden, schlugen am Dienstagabend hoch. Schon vor der Gemeinderatssitzung gab es eine Protestaktion, in der Bürgerfragestunde kam es fast zu Tumulten und als der brisante Tagesordnungspunkt nach drei Stunden aufgerufen wurde, sah sich Oberbürgermeisterin Barbara Bosch mehrfach bemüßigt, die aufgebrachten Gmindersdörfler zur Ordnung zu rufen. Am Ende ging der Bebauungsplan »Moserstraße« mit großer Mehrheit durch. Damit ist der Weg für den Abriss des Gebäude-Ensembles von Helmut Erdle frei.
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Stefan Dvorak, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Vermessung, erläuterte eingangs noch einmal die Planung. Die Bosch-Wohnungsgesellschaft will eine neue Werkssiedlung mit 56 Wohneinheiten in Doppelhäusern entlang der Moserstraße und Mehrfamilienhäuser auf dem dahinter liegenden Grundstück sowie eine Tiefgarage mit 78 Stellplätzen bauen. Dafür muss sie das in den Fünfzigern entstandene Erdle-Ensemble »niederlegen« (Dvorak).

Gegen den Abriss wehren sich die Gmindersdörfler vehement. »Die unmittelbar Betroffenen sind in Sorge, wie immer bei solchen Planungen«, sagte Dvorak und führte Punkt für Punkt auf, warum die Ängste wegen der Massivität der Bebauung, dem Verlust von Freiflächen oder zunehmendem Verkehr aus Sicht der Verwaltung unbegründet seien. Die »angemessene Antwort auf die historische Bebauung« bringe eine Verbesserung für die Bewohner der Arbeiterkolonie, was diese mit Hohngelächter quittierten. Da das Denkmalamt die Gebäude nicht als Kulturdenkmale eingestuft habe, könne der Eigentümer (die Firma Bosch) machen, was er wolle. »Der Gemeinderat kann nicht über Abriss oder Erhalt beschließen, das ist nicht Thema des Bebauungsplanes«, betonte Dvorak.

Innen- vor Außenentwicklung

Die von Bosch geplante Werkssiedlung sei begrüßenswert, so SPD-Fraktions-Chef Helmut Treutlein, weil Arbeiten und Wohnen zusammen gehöre und Innenentwicklung vor Außenentwicklung gehe. »Die Argumente der Firma tragen«, meinte er, die Neubebauung bringe Qualität und sei ein Gewinn. Dem schloss sich Andreas vom Scheidt (CDU) an, der überdies das Verfahren als »positives Beispiel im Umgang mit den Ängsten der Bürger« lobte: Die Beteiligung sei über das übliche Maß hinausgegangen.

»Die Menschen sollen dort 40 oder 50 Jahre wohnen, das müssen ordentliche, der Zeit angepasste Wohnungen sein«, begründete Werner Felix Schobel die Zustimmung der »WiR«-Fraktion. Hans Hubert Krämer von den Freien Wählern sprach von der »längsten Debatte« in seiner Fraktion. Mehrheitlich stimme man zu, wolle den »Sachverstand und Gestaltungswillen der Bürger« künftig aber besser einbinden. Seine Fraktionskollegin Friedel Kehrer-Schreiber enthielt sich bei der Abstimmung. Die alte Bebauung habe Charme, sei »Zeitzeuge«. »Abgerissen ist schnell, aber umbauen und sanieren kann man immer.« Die bestehenden Gebäude »können es wirklich nicht sein«, echauffierte sich dagegen Julius Vohrer von der FDP-Fraktion.

»Es geht um den Erhalt des städtebaulichen Bildes des Gmindersdorfes, die Erdle-Bauten gehören dazu«, begründetet Marcellus Kolompar das Veto der Grünen und Unabhängigen gegen den Bebauungsplan. Bosch baue außerdem Arbeitsplätze ab, deshalb gehe auch der Bedarf an Werkswohnungen zurück. »Man hat den Eindruck, da wird nur Gewinn gemacht«, so Kolompar.

»Wir sollen genau das beschließen, was Bosch will. Das müssen wir nicht«, sprach sich auch Thomas Ziegler (Linke) gegen den Plan aus. Die Erdle-Gebäude seien schützenswert. Und: »Man kann das selbstverständlich so sanieren, dass man auch anständig darin wohnen kann.« (GEA)
Quelle:Reutlinger General-Anzeiger

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