In der Arbeitersiedlung Gmindersdorf in Reutlingen sind architektonisch sehr bedeutende Bauten von Helmut Erdle vom Abriss bedroht. Die Robert-Bosch Wohnungsgesellschaft plant rasterförmige Neubauten, die in Einfallslosigkeit und Monotonität kaum zu übertreffen sind. Diese sollen in die Siedlung eingeschoben werden. Dieser Blog dient der umfassenden Information der Situation.
Mittwoch, 27. Oktober 2010
Leserbriefe in den Reutlinger Nachrichten
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Erdle war kein Nazi
Im Gmindersdorf sollen die Erdle-Bauten abgerissen werden. An ihrer Stelle will die Firma Bosch Betonklötze hinstellen. Nach dem "Runden Tisch" über die Schützenswürdigkeit der Erdle Bauten haben die Abrissbefürworter schlechte Karten. Nun soll der Architekt und Städteplaner Helmut Erdle (1906 - 1991) als Nazi diskreditiert werden, um so den Abriss der letzten Erdle-Siedlungshäuser im Regierungsbezirk Tübingen zu rechtfertigen.
Helmut Erdle wurde am 14. Januar 1906 in Dresden geboren. Von 1923 bis 1925 studierte Erdle an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Dortmund. Bei Prof. Heinz Wetzel war er Hauptassistent an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Das Anliegen von Erdle war es, auch während des Dritten Reiches, gute Architektur zu schaffen. Auch setzte er sich für den Städtebau ein. Während der Nazizeit konnte Erdle als Architekt im Siedlungsbau eine "Nische" finden, da die Nationalsozialisten dem keine hohe Beachtung schenkten.
Nach dem Hitler-Mussolini-Pakt im Jahr 1939 baute er Heimkehrersiedlungen für Tiroler, die nicht in Italien leben wollten. Helmut Erdle war Leiter der Planungsabteilung für die Gaue Tirol und Vorarlberg in Innsbruck. In dieser Funktion hatte er dauernd Auseinandersetzungen mit dem Büro Speer. Albert Speer war der Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt Berlin und ab 1942 zunächst Reichsminister für Bewaffnung und Munition. Er leitete bis zum Kriegsende die Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches. Trotzdem konnte Erdle verhindern, dass die Innenstadt von Innsbruck abgerissen und durch Speers Naziarchitektur ersetzt wurde. Nach dem offenen Disput mit dem Büro Speer wurde Erdle zur Verhaftung ausgeschrieben.
Der Verhaftung konnte er sich nur entziehen, indem er sich freiwillig zur Front gemeldet hat. Von 1943 bis 1945 war er Gebirgsjäger in Nordfinnland. Schon 1946 wurde Erdle im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens als Mitläufer eingestuft. Sofort nach dem Krieg konnte er als Siedlungsbauer und Architekt im Rahmen des Marschallplanes Wiederaufbaumaßnahmen leiten. Die Alliierten hätten nicht zugelassen, dass für den Marschallplan ehemalige Naziarchitekten hätten tätig werden können.
Erdle stand nach dem Krieg in Freundschaft und gutem Kontakt mit vielen jüdischen Künstlern und Intellektuellen: Künstlerin Gerda Goldschmidt, Architekt Erich Mendelsohn, Familie Kahn, Hans Scharoun und sein langjähriger Mitarbeiter, der Gartenarchitekt Hans Stieglitz, der Stuttgarter Oberbaudirektor Hans Döcker - er saß im KZ - und Otto Schenk, mit dem er in der Nachkriegszeit die Architekturlinie "Ligne et Couleur" begründete. In dieser Vereinigung war er Präsident.
Durch sein Engagement konnte Helmut Erdle verhindern, dass die Ruine der Berliner Gedächtniskirche abgerissen wurde. Sie steht heute immer noch als Mahnmal gegen die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg.
Die Ernennung zum Mitglied in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung erhielt Erdle 1959. Erdle wurde mehrmals mit dem Paul Bonatz Preis ausgezeichnet. Vom Land Baden Württemberg wurde Helmut Erdle 1987 der Ehrentitel "Professor" verliehen. Der Architekt des Reutlinger Rathauses, erbaut 1963 bis 1966, Wilhelm Tiedje, war Student bei Helmut Erdle. Am 25. Juni 1991 ist Helmut Erdle in Leonberg gestorben.
HOLGER LANGE
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Quelle:Reutlinger Nachrichten
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