Montag, 16. August 2010

Der Aufruf

Wir als Bürger konnten uns mit der  Zustimmung der Behörden zu solch einer krassen Neubebauung (Zäsur) in einem Ensemblegeschützen Gebiet nicht zufrieden geben.
Um von unserer subjektiven Einschätzung der Lage weg zu kommen, haben wir Frau Dr. Elke Sohn, Bauhistorikerin aus Saarbrücken, die eine von der deutschen Forschungsgesellschaft in Auftrag gegebene Forschungsarbeit über Heinz Wetzel und seine Schüler (Helmut Erdle) geschrieben hat, als Sachverständige und Unterstützerin gewinnen können. Zusammen mit ihr wurde ein Aufruf formuliert, den nun unter anderem Experten der Stuttgarter Schule unterschrieben haben und der weiter von allen Bürgern unterschrieben werden kann, die uns darin unterstützen möchten zu verhindern, dass ein bedeutendes Kulturdenkmal der Architekturgeschichte unwiderbringlich zerstört wird.
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Aufruf:

Mit Betroffenheit nehmen wir die Nachricht zur Kenntnis, dass die Stadt Reutlingen (basierend auf dem Gemeinderatsbeschluss vom 22.4.) beabsichtigt, der Planung der Bosch Wohnungsgesellschaft mbH zuzustimmen, die den Abriss von Teilen der bekannten Reutlinger Arbeiterkolonie Gmindersdorf vorsieht. Der Abriss soll sich auf ein Gebäudeensemble des Stuttgarter Architekten Helmut Erdle beziehen, der dieses von 1950 bis 1952 im Auftrag der Firma Gminder erbaute (drei Gebäudekomplexe in der Moser- und Wilhelm-Kuhn-Straße).

Der Kern der Arbeiterkolonie Gmindersdorf wurde ab 1903 von Theodor Fischer, jenem herausragenden Protagonisten eines reformierten Städtebaus und Initiator der Stuttgarter Schule, als sein erstes großes Siedlungsprojekt entworfen. Heinz Wetzel, der mit Paul Bonatz und Paul Schmitthenner die TH Stuttgart in den 1920ern zu einer der bedeutendsten reformierten Architekturschulen in Deutschland entwickelte, war als Mitarbeiter Fischers ab 1906 an der Projektierung von Gmindersdorf beteiligt. Sein Hauptassistent Erdle wiederum,

der unter anderem auch die Stuttgarter Killesbergsiedlung erbaut hat, fügte Gmindersdorf nach dem zweiten Weltkrieg jene Siedlungserweiterung ganz im Geiste von Fischer und Wetzel hinzu. Damit steht die Siedlung als Gesamtes für jene herausragende städtebauliche und architektonische Schule, die hier im Werk über drei Generationen gelesen werden kann. Mit dem Abriss und der geplanten baulichen Neubau-Zäsur zwischen den Fischer-Bauten und den Erweiterungsbauten aus den 1950er und 60er Jahren würde Gmindersdorf einschneidend und unwiederbringlich verändert und es steht zu befürchten, dass es als Gesamtzeugnis erheblichen Schaden erleidet.

Das Werk von Helmut Erdle selbst wurde bislang noch in keiner Monographie gewürdigt. Jedoch betonen jüngste Forschungen und wissenschaftliche Initiativen an verschiedenen Universitäten die Kohärenz jener städtebaulichen Strömung und belegen den erheblichen Einfluss Wetzels und seiner Schüler und Mitarbeiter auf den künstlerischen Städtebau Europas bis in die 1960er Jahre. Zu nennen sind u. a. das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt zu Heinz Wetzel und seinen Schülern – u. a. Helmut Erdle – an der HafenCity Universität in Hamburg von 2007 bis 2010 (Prof. Frank, Dr. Ing. Elke Sohn), die Vortragsreihe zur Stuttgarter Schule an der Universität Stuttgart in 2010 (Prof. Philipp) und der Forschungsschwerpunkt „Neue Tradition“ an der TU Dresden (Prof. Lippert, Dr. Krauskopf, Dipl. Ing. Zaschke), der seit 2006 regelmäßig auf internationalen Tagungen die neuesten Forschungen zur traditionalistischen Moderne und Stuttgarter Schule bündelt.

Vor diesem Hintergrund rufen wir die Verantwortlichen auf – die Wohnungsgesellschaft Bosch, die Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, die 1. Bürgermeisterin Ulrike Hotz, den Gemeinderat der Stadt Reutlingen und Dr. Kolb vom Denkmalamt Tübingen – den geplanten Abriss noch einmal zu überdenken und die Erdle-Bauten nicht zuletzt auf der Basis jener jüngsten Forschungen einer Neubewertung zuzuführen.

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Dr. Ing. Elke Sohn, Architekturhistorikerin und –theoretikerin, Saarbrücken

Prof. Hartmut Frank, Lehrstuhl Analyse gebauter Umwelt, Hafen City Universität Hamburg
 
Dipl. Ing. Andreas Schwarting, Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege, Techn. Universität Dresden



Dr. Matthias Roser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Stuttgart 21
 

Dr. Kai Krauskopf, Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege,
Techn.Universität Dresden

Dipl. Ing. Katrin Peter-Bösenberg, wissenschaftl. Mitarbeiterin Lehrstuhl Analyse gebauter Umwelt, Hafen City Universität Hamburg




Anke Bächtiger, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Heimatmuseum Reutlingen Bereich Industriemuseum
 
Karin Schliehe und Bernhard Mark, Illustratorenwerkstatt Schliehe-Mark, Gmindersdorf

Carola Rau, Kinderkrankenschwester,Reutlingen - Betzingen

Holger Lange, Umwelttechniker, Reutlingen - Betzingen

Magda Puphal, Rentnerin, Reutlingen - Wannweil

Julius Schädler, Schüler, Reutlingen - Gmindersdorf

Sarah Schädler, Schülerin, Reutlingen - Gmindersdorf

Ulrike Kalt, Reutlingen - Gmindersdorf

Samuel Kalt, Reutlingen - Gmindersdorf

Diana Kalt, Reutlingen - Gmindersdorf

Simon Kalt, Reutlingen - Gmindersdorf

Sophia Kalt, Reutlingen - Gmindersdorf,

Oliver Brinkmann, Reutlingen - Gmindersdorf

Louisa Brinkmann, Reutlingen - Gmindersdorf

Vera Vogel, Reutlingen - Gmindersdorf

Fritz Vogel, Reutlingen - Gmindersdorf


Jutta Binder-Borchert, Reutlingen

Ulrich Wirner, Reutlingen


Isabel Steinhilber Wirner, Reutlingen - Gmindersdorf


Kira Steinhilber, Reutlingen - Gmindersdorf


Rolf Geißler, Reutlingen - Gmindersdorf


Gudrun Geißler, Reutlingen - Gmindersdorf


Stefan Fuchs, Reutlingen - Gmindersdorf


Annedorle Schmierer, Reutlingen - Gmindersdorf


Uwe Neumann, Reutlingen - Gmindersdorf

2 Kommentare:

  1. Prima Aufruf ! Ich unterstütze den Aufruf !

    Holger Lange, Umwelttechniker, Reutlingen, Klopstockstraße 28

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  2. Wir freuen uns.
    Heute hat uns auch Herr Dr. Matthias
    Rosner seine Unterstützung zugesagt,
    Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Stuttgart 21.
    Er hat den Aufruf mit unterschrieben
    und möchte sich mit uns vernetzen.

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