Samstag, 25. September 2010

Artikel im Reutlinger General-Anzeiger: Die Sache mit dem Denkmalschutz

Hier ein weiterer Artikel im Reutlinger Genereal Anzeiger:
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Gmindersdorf - Abrisspläne Bosch-Wohnungsgesellschaft: Entscheidung über Erdle-Bauten rückt näher 
 Die Sache mit dem Denkmalschutz

VON ULRIKE GLAGE

Der Meinungsaustausch über den von der Bosch-Wohnungsgesellschaft geplanten Abriss der ans Gmindersdorf angrenzenden Erdle-Siedlung geht weiter: Am Donnerstag war der dritte runde Tisch von Gmindersdörflern und Vertretern der Stadtverwaltung. Mit dabei: Die Gmindersdorf-Bewohner Karin Schliehe und Bernhard Mark, die sich vehement und mit wissenschaftlichem Eifer für den Erhalt der Bauten einsetzen. Und, erstmals, auch Baubürgermeisterin Ulrike Hotz. Die zeigt sich beeindruckt von den städtebaulichen Informationen, die die beiden zutage gefördert haben. »Das ist ja unglaublich.«

Hotz teilt mit den beiden Vertretern der Bürgergruppe Gmindersdorf die Auffassung, dass es sich bei den vom Architekten und Künstler Helmut Erdle geplanten Gebäuden um eine »sehr gute« Bebauung handelt. »Er hat mit einer hochinteressanten Zeilenstruktur aufs Gmindersdorf reagiert.« Ob diese Einschätzung etwas an den Abrissplänen ändert, lässt die Baubürgermeisterin offen. »Der Ball liegt beim Denkmalamt.«

Um der Firma Bosch den Neubau zu ermöglichen, muss die Stadt bekanntlich einen Bebauungsplan aufstellen. Der steht kurz vor seiner Vollendung. Was noch fehlt, ist die mit Spannung erwartete Stellungnahme des Denkmalamtes: Die Behörde entscheidet darüber, ob es sich bei der Erdle-Siedlung um ein Kulturdenkmal handelt oder nicht. »Falls es nicht als Kulturdenkmal eingestuft wird, ist die Sache klar«, sagt Hotz und meint den Abriss. Der könnte aber auch drohen, wenn die Behörde pro Kulturdenkmal stimmt. »Dann müsste man trotzdem überlegen, ob der Erhalt zumutbar ist«, so die Baubürgermeisterin.

Trotz der mittlerweile allseits anerkannten Bedeutung der Erdle-Bauten können in Baden-Württemberg städtebauliche Kriterien für die Bewertung von Kulturdenkmälern nicht geltend gemacht werden. Dem Denkmalamt sind bei der Entscheidung freilich noch weitere formale Grenzen gesetzt. Die Gründe liegen in der jüngeren Geschichte des 1903 erbauten Gmindersdorfes. Dessen Bewohner erwiesen sich als äußerst sanierungsfreudig, was dem Denkmalamt sehr missfiel. 1966 wurde zum Schutz des historisch wertvollen Erscheinungsbildes der Arbeitersiedlung immerhin eine Ortsbausatzung erlassen. Deren Einhaltung interessierte die Stadt damals offenbar wenig. Und so wurden Fenster munter begradigt, Loggien beseitigt, Häuser mit Eternit verschalt.

Als in den Siebzigerjahren das Denkmalamt durchgreifen und das Gmindersdorf unter Schutz stellen wollte, liefen die Bewohner Sturm gegen die »Totengräber der Freiheit und Demokratie«. Der »Denkmalkrieg« brach aus, das Gmindersdorf galt zwar weiterhin als denkmalwürdiges Kulturgut. Einige zentrale Gebäude in städtischem Besitz wurden zwar unter Denkmalschutz gestellt, nicht aber das Ensemble. Als Folge des Konflikts wurde das Gmindersdorf nie ins Denkmalbuch eingetragen. Deshalb kann kein Umgebungsschutz für die angrenzenden Gebäude geltend gemacht werden. Und das wiederum könnte die Rettung der Erdle-Bauten verhindern. »Die verfehlte Denkmalpolitik der Behörden wirkt sich bis heute aus«, befürchten Karin Schliehe und Bernhard Mark.

Sie sehen die Erdle-Siedlung und das Gmindersdorf als Einheit, als Ausdruck einer bedeutenden Architekturschule. Und sie appellieren an den Stadtrat und die Firma Bosch: »Unabhängig von der Stellungnahme des Denkmalamtes muss diese Siedlung als Ganzes erhalten bleiben, weil sie einmalig ist in Deutschland.« Das Erdle-Ensemble sei ein »Schlüsselbau«, der stehen bleiben sollte. Anbauten halten sie ebenso für denkbar wie Architekt Andreas Erdle (der Sohn des Siedlungsplaners). »Aber behutsam und in die Gebäude eingefügt, keines keinesfalls als Fremdkörper.«
Quelle:Reutlinger General Anzeiger

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